
Gabi Zedlmayer war für viele Jahre „Chief Progress Officer“ bei HP. Sie ist Expertin für Digitalisierungstrends, hält Vorträge und berät Unternehmen zu Zukunfts- und Transformationsthemen. Im Interview erzählt sie, was Fortschritt für sie bedeutet, welche Rolle der Mensch spielt und warum Angst nicht das richtige Rezept ist. Das Interview ist Teil einer Serie, mit der ein deutsches Industrieunternehmen gezielt Zukunftsthemen in der internen Change-Kommunikation zur Diskussion stellt. Von Mathias Junkert
Frau Zedlmayer, was bedeutet für Sie persönlich Fortschritt?
Bei Fortschritt denke ich daran, dass wir unsere Mittel einsetzen, um den Zustand der Welt zu verbessern. Also, dass wir Bereiche wie Gesundheit, Bildung und Umwelt demokratisieren und mehr Menschen Zugang zu diesen Bereichen verschaffen.
Was hat die Technologie damit zu tun?
Die Technologien, die momentan am Entstehen sind, und die gewaltigen Veränderungen helfen uns, den gewünschten Fortschritt zu erreichen. Ich sehe sie deshalb positiv.
Inwiefern sehen Sie mit Blick auf gesellschaftlichen Fortschritt auch Unternehmen in der Verantwortung?
Sie haben auf alle Fälle große Verantwortung. Wenn man sich die hundert größten Ökonomien der Welt anschaut, sind das zur Hälfte Firmen und keine Staaten. Die Firmen haben Skills und Kompetenzen, die sie einsetzen müssen. Da muss jeder mit in die Verantwortung genommen werden, übrigens nicht nur Unternehmen und Staaten, sondern auch jeder Einzelne. Wenn jeder mehr Verantwortung übernehmen würde, würden die Dinge wesentlich besser aussehen.
Wie Sie sagen, stehen wir inmitten eines enormen technologischen Wandels. Was ist für Sie der Kern des Wandels?
Wir müssen verstehen, dass die Veränderungen mit einer Wucht auf uns zukommen, wie es für einen Menschen eigentlich unvorstellbar ist. Menschen denken einfach sehr linear. Was momentan aber um uns herum passiert, sind exponentielle Wachstumskurven. Egal, wo ich hinschaue. Allein wenn man schaut, wie viele Informationen geschaffen werden. Das verdoppelt sich ja alles jedes Jahr. Auch beim Blick auf die demografische Entwicklung, mit 13 Milliarden Menschen im Jahr 2100, dann weiß man, dass man die Dinge anders machen muss. Und die neuen Business-Modelle kommen derart schnell. Ein Beispiel ist Uber, die fünf Jahre für eine Milliarde Kunden gebraucht haben, für die zweite Milliarde haben sie dann nur noch ein halbes Jahr gebraucht.
Aber bei der Elektromobilität reden wir ja auch schon sehr lange darüber. Aber wirklich angekommen ist sie noch nicht.
Wir denken ja immer, wenn etwas nicht sofort passiert, dann kommt es gar nicht. Die Menschen müssen aber erkennen, dass nichts mehr so sein wird, wie es war. Das kann man eigentlich jeden Tag beobachten. Es ist schon viel mehr da, als die meisten wissen, weil zu wenig und kaum anschaulich darüber geredet wird. Eine Themenwoche in der ARD zum Thema Arbeit der Zukunft reicht nicht, wir müssen uns mehr damit beschäftigen und die Veränderungen begreifen.
Können Sie ein Beispiel nennen, was es schon gibt?
Nehmen Sie das autonome Fahren. Ich war beruflich laufend in Kalifornien und habe die Autos dort schon vor vielen Jahren fahren gesehen. Das ist ja nichts Neues. Jetzt sind sie in Deutschland auf Teststrecken auf der Autobahn. Oder nehmen Sie die E-Mobilität: Autofirmen haben Tesla belächelt, jetzt geht ihnen allmählich ein Licht auf. Die aktuellen Wachstumsraten beim E-Auto sind noch nicht repräsentativ, aber das wird jetzt alles sehr schnell gehen.
Und die Automobilbranche ist ja nur ein Bereich.
Ja. Nehmen Sie die Medizin. Was es heute schon gibt, ist bisher auch noch kaum bekannt. Zum Beispiel das Gen-Editing: Das ist ja heute schon möglich, das ist ja nicht einmal Zukunftsmusik. In Kalifornien gibt es über 2.000 Startups, die momentan daran arbeiten, dass ich nicht mehr sterbe. Da werden heute schon Fortschritte erzielt und ist schon genauso Realität wie die Tatsache, dass Forscher an der ETH Zürich ein funktionstüchtiges Herz aus Silikon entwickelt haben, das mit einem 3D Drucker gedruckt wurde.
Die Wucht der Veränderung macht natürlich Angst. Was kann ich denn als Einzelner dagegen machen?
Angst ist nicht das richtige Rezept, es werden auch viele neue Chancen entstehen. Es geht um Information, Wissen, sich mit der Materie zu beschäftigen: Wo sind die künftig gefragten Kompetenzen? Wo sind die Routine-Aufgaben, die mit Sicherheit wegfallen, weil sie von einem Computer zuverlässiger erledigt werden können? Was sind die Gebiete, wo ich mich künftig einbringen kann? Je mehr ich darüber weiß und je offener ich bin, desto besser kann ich mich für die Zukunft aufstellen. Das ist für jeden Einzelnen wichtig, und für die Unternehmen auch, die gerne an ihren alten Strukturen und Hierarchien festhalten, obwohl sie sich schnell umstellen müssten.
Es geht also um Eigenverantwortung und Bildung?
Wir wissen auch, dass die Mehrheit der Kinder, die heute in die Schule kommen, einen Job machen wird, den es heute noch gar nicht gibt. Die Jobs werden von den Menschen kreiert und nicht von irgendwelchen Firmen. Also ja, die Kreativität jedes Einzelnen ist da gefordert.
Fördern Unternehmen die Kreativität ihrer Mitarbeiter genug?
In Deutschland sind wir oft noch sehr hierarchisch in sehr verkrusteten Strukturen unterwegs. Es gibt zu viele Silos, man redet nicht miteinander, das heißt die Kollaboration funktioniert nicht besonders gut. Auch die Fehlerkultur ist ehrlicherweise nicht en vogue. Aber Innovation geht nun mal einher mit Experimentieren, Fehler machen, immer wieder Ausprobieren und etwas anders machen. Es braucht also eine ganz andere Kultur, die das wirklich fördert. Es gibt natürlich auch Unternehmen, bei denen das schon sehr gut funktioniert, weil es vom Management gewollt ist. Ein Beispiel ist Adobe mit seinem Kickstarter-Paket, wo Mitarbeiter Geld und Zeit bekommen, um an Ideen zu arbeiten. Oder Google, wo Mitarbeiter frei einen Teil ihrer Zeit an neuen Ideen arbeiten können.
Das Management spielt also auch eine Rolle?
Vor allem in den „alten“ Strukturen eine Riesenrolle. In der Zukunft werden Unternehmen anders aufgebaut sein. Top-Down wird dann nicht mehr so wichtig sein, Innovationen finden viel mehr am „Edge“ statt. Wenn man lernt, agiler zu arbeiten, kann Innovation ja überall stattfinden. Aber dazu muss man die neuen Methoden erstmal anwenden.
Was raten Sie Mitarbeitern, die sagen: Wir haben Ideen und bringen sie auch immer wieder ein. Aber keiner hört auf uns?
Die jüngeren Mitarbeiter gehen einfach wieder, weil sie ganz anders drauf sind. Die bleiben sowieso nicht besonders lang, und wenn etwas nicht funktioniert, sind sie einfach wieder weg. Bei älteren Mitarbeitern schaut es wahrscheinlich etwas anders aus. Mein Rat an die Leute ist: Macht es einfach! Auch ich habe einiges gemacht, da hieß es immer, „das darfst du nicht, tu es nicht“. Irgendwie findet sich aber immer jemand in der Organisation, der einen unterstützt, wenn es eine richtig gute Idee ist. Dann muss man Dinge ausprobieren und soweit daran arbeiten, wie man kann, und nicht immer darauf warten, dass immer 100 Prozent garantiert ist. Und wenn sich für eine gute Idee auch mehr Leute zusammentun, können sie auch lauter sprechen und werden eher gehört.
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