Als die ARD letzte Woche wegen einer extern in Auftrag gegebenen Studie zum Thema Framing in die Kritik geriet, dachte ich im ersten Moment: So what? Medien und überhaupt jeder, der Inhalte verbreitet, sollte sich hin und wieder damit beschäftigen, welche Wirkung diese Inhalte haben. So gibt es seit jeher Kritik an manipulativen Headlines oder am Clickbaiting von Online-Medien, um durch entsprechende Headlines Zugriffszahlen und Werbeeinnahmen zu steigern („Dieses Mädchen rührt alle zu Tränen. Was dann passiert, liest du hier...“). In diesem Zusammenhang ist auch das systematische Verwenden von Frames in Werbespots, PR-Kampagnen und auch im Journalismus nicht wirklich neu.
Worum geht es eigentlich?
Verkürzt geht es beim Framing darum zu verstehen, dass Menschen das, was sie sehen, hören oder lesen, in Sekundenbruchteilen einordnen und bewerten, und zwar automatisch und ohne bewusst darüber nachzudenken. Das Gehirn gleicht empfangene Informationen mit eigenen Erlebnissen, Prägungen und persönlichen Werten ab und entscheidet, was das alles für einen selbst bedeutet. Gut oder schlecht? Relevant oder unwichtig? Begehrenswert oder nicht? Christian Schreier und Dirk Held sprechen in ihrem Buch „Was Marken erfolgreich macht“ in diesem Zusammenhang vom menschlichen „Autopiloten“. So macht es zum Beispiel einen Unterschied, ob das Auto im Werbespot durch abenteuerliche Landschaften rast oder mit Oma und Opa gemütlich in den Familienurlaub fährt.
Ein anderes Beispiel: Gegner der freien Medien propagieren gerne den Begriff Lügenpresse und bedienen dadurch ebenfalls verbreitete Frames. Die Zielgruppen laden den Begriff automatisch mit Bedeutung auf und geben ihm so einen Rahmen: Man fühlt sich angegriffen, ungerecht behandelt, "die da oben" wollen mich bevormunden usw. Wie viel an dem Begriff wirklich „dran“ ist, spielt beim Autopiloten im menschlichen Gehirn keine Rolle, dafür müsste man erst nachdenken und Argumente abwägen - und das ist ein energieintensiver Prozess, auf den das menschliche Gehirn wenn möglich verzichtet.
Frames und damit die Wirkungsweise von Kommunikation verstehen zu wollen, ist aus Sicht der ARD also nachvollziehbar und an sich eine gute Sache. Es ist auch nichts daran auszusetzen, wenn Medienschaffende hinterfragen, wie sie selbst zur Bildung und Verbreitung bestimmter Frames beitragen.
Die kritisierte Studie allerdings taugt nicht als praktisches Handbuch für die ARD (Danke an Netzpolitik.org für den Upload). Denn die Studienautorin begeht einen Fehler: Sie tappt selbst in die Framing-Falle. Sie erschafft für die Studie einen eigenen Frame - und zwar mit dem kleinen Wort Moral, das sich wie ein Roter Faden durch die Studie zieht.
94-fache Moral
Moral bzw. moralisch kommt in der Studie 94 (!) mal vor, fünfmal allein auf der ersten Seite. Da steht zum Beispiel: „Die ARD setzt sich für bestimmte Dinge ein, weil sie von ihrer moralischen Notwendigkeit für das gesellschaftliche Miteinander überzeugt ist“. Auch wenn es nicht gewollt sein mag: Hier entsteht ein gewaltiger Frame! Er ist so stark, dass er alle in der Studie enthaltenen Gedanken - auch die guten und diskussionswürdigen - überstrahlt. Der Leser hat das Gefühl, bei der ARD halte man sich für moralisch überlegen, einem bestimmten Welt- und Gesellschaftsbild, gar einer politischen Richtung, verpflichtet.
Die Studienautorin will die ARD nach dieser Lesart zu einem Akteur im politischen Diskurs machen, mit eigener Agenda, was die ARD eher verwundbar als stärker machte. Die Autorin impliziert einen Journalismus, der eine klare Haltung mit persönlicher Meinung und moralischem Sendungsbewusstsein vermischt. Dabei wäre das Gegenteil tatsächlich nötig: mehr Fakten, und eben weniger Moralisieren, mehr berichten, weniger kommentieren. Mehr BBC, weniger CNN. Mehr Diskurs-Offenheit und -Tiefe statt fragwürdigem redaktionellen Framing, etwa in Talkshows („Wie kriminell sind Flüchtlinge?“).
Es ist also richtig, dass sich ARD-Intendant Tom Buhrow von der Studie distanziert hat, selbst wenn sie gute Gedanken enthält. Wer wie die Studie den öffentlich-rechtlichen Anbietern empfiehlt, private Medien als „Kommerzrundfunk“ oder „medienkapitalistische Heuschrecken“ zu diffamieren und das als kluges "moralisches" Framing verkauft, hat die Verantwortung, die mit dem Wissen um das manipulative Potenzial von Frames einhergeht, nicht verstanden. Er trägt vielmehr zur allmählichen Polarisierung von Medien und Gesellschaft bei. Medien zu Kampagnenmachern zu degradieren, selbst wenn es um die "gute Sache" geht, kann eigentlich niemand wollen. Dafür sollte der Blick ins Donald Trumps Amerika oder Putins Russland Warnung genug sein.
Bild: Mathias Junkert